Die Urahnin des programmierten Gestaltens ist die Typografie – ein System, das im 15. Jahrhundert geschaffen wurde, um mit beweglichen Lettern Texte effektiver als mit der Handschrift abbilden zu können.
Die Trennung der Buchproduktion in verschiedene Gewerke wie Schriftschneider, Schriftgießer, Setzer und Drucker machte ein Informationssystem zwischen den einzelnen Arbeitsstationen notwendig. Schon Ende des 15. Jahrhunderts verfügte der Buchdrucker und Verleger Aldus Manutius über ein firmeninternes Maßstystem, einem Vorläufer des typografischen Punkt-Maßsystems, das von Pierre Fournier und François Didot im 18. Jahrhundert entwickelt wurde.
Jahrhundertelang hatte sich nichts Grundsätzliches in der Typografie und Buchproduktion geändert. Die ersten wesentlichen Veränderungen kamen erst Ende der 1960er-Jahre mit dem Fotosatz. Die Schrift verlor ihren (Metall-)Körper und eine vergleichsweise schnelle Herstellung von Text wurde möglich, die nicht mehr an die technologische Restriktion des Bleisatzes gebunden war. Damit konnten und wurden die Konventionen professioneller Designpraxis erstmals wirklich infrage gestellt.
Mit einer Serie von 14 Umschlagseiten für die Zeitschrift ‚Typografische Monatsblätter‘ forderte Wolfgang Weingart die funktionale Schweizer Typografie der Nachkriegszeit heraus. Er fühlte sich nicht mehr der sachlichen Informationsvermittlung verpflichtet und entwarf mehrschichtige Betrachtungs- und Leseerlebnisse, indem er das starre Gestaltungsraster virtuos zum Leben erweckte: „Die technischen Möglichkeiten des heutigen Typografie mitmilfe des aufkommenden Fotosatzes verleiten zu einem Spiel ohne Spielregeln.“1
Ende der 1970er-Jahre wurden überall dekonstruktive Tendenzen sichtbar: In den Niederlanden grenzten sich junge Designer wie die Gruppe ‚Hard Werken‘ von der funktionalistischen Tradition ab, wie sie von Wim Crouwel vertreten wurde, in Großbritannien etablierte sich mit der musikalischen auch die grafische Punkszene, zu der auch Neville Brody gehörte und in den USA experimentierten Studenten an der Cranbrook Academy of Art, Michigan – inspiriert durch die dekonstruktivistischen Theorien von französischen Philosophen wie Jaques Derrida – mit Flächen, Text- und Bildschnipseln, – die sich überlagerten und in einem dreidimensionalen Raum zu schweben schienen. Das eindeutige Bedeutungs- und Bezugssystem von Bild und Text löste sich auf.2
Jedoch wurden die Grundfesten der Typografie und des Grafikdesigns erst 1984 durch den ersten postscriptfähigen Personal Computer ‚Macintosh‘ wirklich erschüttert – (fast genau) 530 Jahre nach der Gutenbergbibel. Die revolutionäre Neuerung hieß Digitalisierung: Mit der Möglichkeit, Buchstaben in Linien und Pixel zu zerlegen, wurde der Textinhalt erstmalig von seiner visuellen Erscheinung getrennt, ein Text konnte permanent sein Aussehen ändern – das war bis dahin unvorstellbar.
Trotz der anfänglichen technischen Begrenzungen wie die geringe Rechnerleistung und die niedrige Bildschirmauflösung eröffnete sich mit der Entmaterialisierung von Text und Bild eine völlig neue Welt. Der Gestaltungs- und der Produktionsprozess begannen zu verschmelzen: „[der Computer war] ein neues Paradigma, eine magische Schiefertafel zum Entwerfen, das eine Ära neuer Möglichkeiten für Grafiker einläutete.“3
Mit der Befreiung von den Einschränkungen der langwierigen und teuren Produktions- und Abstimmungsprozesse emanzipierten sich die Designer und die existenzielle Frage der Avantgarde-Künstler der 1920er-Jahre stellte sich einer neuen Generation von Pionieren: Ist der Designer Künstler oder Ingenieur?
April Greiman, aber auch Zuzana Licko und Rudy VanderLans von ‚Emigre‘ gehörten zu den ersten Designern, die mit den neuen Computern experimentierten. April Greiman reizte mit ihrer großflächigen Plakatcollage für die Zeitschrift ‚Design Quarterly‘ (1993) die neuen Technologien mit allen ihren Möglichkeiten aus. Mit diesem Kosmos aus einem Selbstporträt, assoziativen Abbildungen und typografischen Elementen vertrat sie, wie auch Wolfgang Weingart, die Auffassung, dass Design durchaus als Kunst betrachtet werden könne.4
Licko interessierte sich nicht nur für den Computer als Werkzeug, sondern für dessen Funktionsweise und entwarf mit ‚Oakland‘ 1985 die erste digitale Schrift am Mac – für den Mac. Mit den Schriften von Licko und anderen Entwerfern vertrieb ‚Emigre‘ als weltweit erste Firma digitale Schriften für den Personal Computer. 1989 begannen Just van Rossum und Erik van Blokland als ‚LettError‘ mit programmierter Gestaltung zu experimentieren. Die ‚FF Beowolf‘ funktionierte mit einen Zufallsalgorithmus, der jedes Mal, wenn ein Buchstabe gedruckt wurde, unterschiedliche Buchstabenformen erzeugte.
Mit dem Layoutprogramm ‚Pagemaker‘ (später QuarkXpress, dann InDesign) wurde es ab 1985 möglich, professionellen Satz auf einem Personal Computer zu erstellen. Die integrierten Absatzformate basierten auf einer objektorientierten Programmiersprache, das heißt, dass der Text sowie die typografischen Gestaltungsparameter wie Font, Größe, Zurichtung und Farbe jeweils eigene Objekte waren, die getrennt gespeichert und bearbeitet werden konnten.
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Durch die relativ einfache Benutzbarkeit dieser Funktionen und die Möglichkeit, vektoren- oder pixelbasierte Dateien (also Bilder) einzubinden, konnten auch Designer, die nicht so technisch versiert waren, direkt am Mac layouten, setzen und produzieren. Bis Mitte der 1990er hatte sich das Desktop-Publishing (sinngemäß ‚Publizieren vom Schreibtisch aus‘) durchgesetzt.
In diesem unmittelbaren Übergang von Entwurf und Produktion wurde offensichtlich, dass Software den kreativen Prozess und die Ästhetik direkt beeinflusst. Da die Architektur der Software Programmerweiterungen anderer Entwickler zuließ (und -lässt), reizte es nicht nur Informatiker, sondern auch Designer, ihre neuen Produktionsmittel selbst zu optimieren, um ihre gestalterischen Ziele verfolgen zu können. Als Informatiker und Designer war sich John Maeda der Wechselbeziehung von Informatik und Gestaltung bewusst.
Maeda inspirierte am ‚MIT Media Lab‘ (Massachusetts Institute of Technology) eine junge Generation von Designern, Künstlern und Programmierern wie Casey Reas und Ben Fry, sich mit der Programmierung als grundlegende gestalterische Methode auseinanderzusetzen.5 Reas und Fry veröffentlichten 2001 mit ‚Processing‘ eine relativ einfache Programmiersprache, speziell für Designer und Künstler:
„Processing ist eine objektorientierte, stark typisierte Programmiersprache mit zugehöriger integrierter Entwicklungsumgebung. Die Programmiersprache ist für die Einsatzbereiche Grafik, Simulation und Animation spezialisiert. […] Processing hat den Charakter einer stark vereinfachten Version der Programmiersprache Java, ermöglicht Interaktionen und visuelle Elemente zu programmieren.“6
Auf dieser Basis entwickelten Ted Davis, Benedikt Groß und Ludwig Zeller an der Hochschule für Gestaltung in Basel 2011 die Programmiersprache ‚Basil. js‘ für das Layoutprogramm ‚InDesign‘. Sie ermöglicht softwareinterne Skripte zu erweitern oder neue Skripte zu entwickeln, um so Gestaltungsprozesse zu automatisieren, externe Datenquellen auszuwerten und schlussendlich parametrisch zu gestalten.
Auszug aus der Publikation: Stil System Methoden.