EXPO. Weltentwerfen

Obwohl wir uns in dem Kurs ExPo. Experiment + Design unter dem großen Begriff ‹Weltentwerfen› mit scheinbar unspektakulären Dingen beschäftigt haben, war er wegweisend. Er geht auf Richard Buckminster Fuller zurück, der Anfang der 1960er Jahre die Hochschulen aufforderte, sie mögen ihre «außergewöhnlichen intellektuellen Ressourcen freisetzen, um die Design-Wissenschaft und ihre Anwendung auf die Weltplanung zu etablieren.»1
 
Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der postindustriellen, teilweise schon computerbasierten Umgestaltung von Lebenswelten2 waren die 1950er und 1960er Jahre von «einer großen Offenheit gegenüber wissenschaftlichen und technologischen Versuchsanordnungen»3 geprägt. Die kybernetische These, dass die Interaktion von Mensch und Maschine ein sich selbst regulierendes System sei, hat diese Euphorie gespeist und ein Wunschdenken genährt, dass alle Probleme der Welt mit mathematischen und kombinatorischen Methoden lösbar seien.
 
Dies ging einher mit Diskussionen über Möglichkeiten der Rationalisierung durch systematisierte, methodenbasierte Arbeitsprozesse einerseits und die Verwertbarkeit von Kreatitiviät andererseits. So rückte der gestalterische Entwurfsprozess ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Bemühungen von Wissenschaft, Design, Kunst und Philosophie, den Entwurfsprozess in den unterschiedlichen Disziplinen zu verallgemeinern und zu systematisieren, gingen Hand in Hand mit einem Methodentransfer, der den systemisch-systematischen Charakter von Design nachhaltig prägte.
 
Methoden des ‹strukturierten Brainstorming›4und der Kombinatorik wurden sowohl von Designern wie Karl Gerstner, Herbert W. Kapitzki oder Richard Paul Lohse, als auch Künstlern (Frieder Nake, Manfred Mohr oder Vera Molnár) begeistert aufgenommen und in mathematisch basierte Entwurfsprozesse übertragen. Ihre Versuchsanordnungen, die durch parametrische Kombination oder Veränderung (Permutation) einzelner Formen neue grafische Strukturen erzeugten, waren insofern bahnbrechend, als dass sie keine direkten Produkte entwarfen, sondern Prozesse, in dem sich das Ergebnis selbst formt.
 
Wir untersuchten und adaptierten ausgewählte Methoden wie den morphologischen Kasten des Astrophysikers Fritz Zwicky, auf dessen Grundlage Gerstner seinen ‹Entwurfsautomaten›5 entwickelte, oder auch künstlerische Entwurfsprozesse von Lohse und Molnar. Besonders interessierte uns der flexible Raster, den Gerstner für das Magazin ‹Capital› entwickelt hatte: In seiner Analogie zu einem sich selbst regulierenden System verweist er auf die Anfänge der Kybernetik und nimmt gleichzeitig unsere heutigen ‹responsiven› Medien vorweg.
 
Mit unseren Untersuchungen und Experimenten haben wir eine Brücke zwischen den Anfängen der Computerisierung und unseren aktuellen Möglichkeiten und Fragestellungen geschlagen. Damit haben wir unter dem Titel ‹Weltentwerfen› nicht nur schöne Muster entworfen, sondern wir haben uns auch die methodische wie politische Dimension des Grafikdesigns erschlossen.

  1. Buckminster Fuller, Richard: Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde, Hamburg 2010, S. 158
  2. Mareis, Claudia: Entwerfen mit System, Hamburg 2020, S. 6
  3. Mareis, Claudia: Theorien das Designs zur Einführung, Hamburg 2014, S. 6
  4. vgl. Laukenmann, Joachim: Er wollte das Sonnensystem verschieben, https://www.tagesanzeiger.ch/wissen/technik/das-vergessene-schweizer-genie/story/28593233 (21. 2.2021)
  5. vgl. Gerstner, Karl: Programme entwerfen, Teufen 1968, S. 9