EXPO. Das Eigene und das Andere

Derridas Aufsatzsammlung ‹Randgänge der Philosophie› fragt in Form des experimentellen Auftakttextes ‹Tympanon› nach der Möglichkeit eines anderen Hörens der philosophischen Tradition und nach den Wegen ihrer Umschreibung in eine ‹Schräglage›, die nicht mehr in zu hinterfragenden Gegensatzlogiken (z. B. Innen-Außen, Eigenes-Anderes, Metaphysik-Destruktion der Metaphysik) gebannt wäre.
 
Die Mehrdeutigkeit des Wortfeldes Tympanon – es verweist musikalisch wie anatomisch auf das Trommelfell und die Paukenhöhle im Mittelohr, architek-tonisch auf das Giebelfeld und auf das Schöpfrad, drucktechnisch auf die Schließrahmen und benennt außerdem das zitherartige Saiteninstrument des Hackbretts – wird Derrida zur Spur der Infragestellung eines philosophischen Immanentismus und der Aneignung seines Anderen, der sich im autistisch-auditiven Sich-selbst-Vernehmen begründet. Vielmehr begreift Derrida das auditive Vernehmen als einen Prozess permanenter Alterierung des Eigenen, der in der sogenannten Impedanzanpassung im Mittelohr, in der die Weitergabe des Schalls im Medium Luft vom Trommelfell aus über die differenzierte Kette der Gehörknöchelchen in das mit Lymphflüssigkeit gefüllte Hörorgan (Schnecke) überführt wird, in gewisser Weise seine anatomische und physiologische Begründung erfährt.
 
Das Schreiben eines philosophischen Diskurses, das von diesem Gedanken einer nicht-symmetrischen Alterierung, einer permanenten Umschreibung und Befragung diktiert erscheint, vollzieht dabei eine in Frage stehende Eröffnung einer nicht kalkulierbaren Randzone. Dieses energetische Schreiben, das auf die Überbietung der Verfügungshorizonte des Philosophischen offen zielt, sich dabei aber als ausgesetzt, d.h. unsicher und gebrochen, weiß, bezeichnet Derrida als ‹[h]ämatographische Musik›. Damit umkreist Derrida ein ‹gewisses Gemetzel an der Sprache›1 begrifflicher Operationen, um somit schreibend in der Sprache die Sprache zu übersteigen. Dasjenige, was sich ‹da› qua Schrift ankündigt oder zeigt, wäre die Spur, vielleicht die Partitur dieser in Frage stehenden Musik. Tympanon vollzieht und stellt geradezu diesen Gedanken dar, indem sein Textkörper als ein asymmetrischer Zuschnitt von zwei Spalten erscheint, um in der kleineren zweiten Spalte den meditativen Kommentar eines Anderen, denjenigen des Schriftstellers und Philosophen Michel Leiris, einfließen zu lassen.
 
So ergibt sich in der textuellen Komposition von Tympanon jene in Frage stehende asymmetrische Luxation des Eigenen und des Anderen, da der poetische Kontrapunkt Leiris’ besonders darauf abhebt, dass das angeschlagene Denken der Musik in Form einer energetischen Kraft der gewaltsamen Ver- und Zerstörung mitnichten als neuer Pol einer Metaphysik des Eigentlichen zu verstehen ist, sondern vielmehr auf eine unentscheidbare Kontamination des metaphysischen und mythopoietischen Registers des Musikalischen (Eigentlichkeit des Unaussprechlichen, Authentizität, Selbstpräsenz, Singularität) mit der Bedingung seiner (Un-)Möglichkeit, der unhintergehbaren und gleichursprünglichen Bindung an eine techne und mechane der Universalisierung und Wiederholbarkeit, d. h. der Schrift, verweist.

  1. vgl. Derrida, Jacques, Tympanon, in: Derrida, Jacques. Randgänge der Philosophie, hg. v. Engelmann, Hamburg 2010, S. 13